Künstlerische Entwicklung

Alfred Manessier

„Quelles variations, mais il est toujours Will Torger!“

— Alfred Manessier, 1970

(„Welche Variationen, aber es ist immer Will Torger!“) — Alfred Manessier über die Kunst Will Torgers anlässlich eines Besuches im Bremer Atelier, 1970

Will Torgers Kunst in drei Sätzen

Impressionen I: Gegenstand. Kindheit und Frühwerk

Impressionen II: Symbol.  Malen mit Farbe und Licht. Kriegs- und frühe Nachkriegszeit

Expressivität: Farbe, Form, Fläche. Torger wird zu Torger

Nachtrag: Unter dem Radar. Torger in Bremen

Impressionen I: Gegenstand. Kindheit und Frühwerk

Musik und Theater gehören zu Will Torgers Kindheit:

„Als Kind war ich in der außerordentlich glücklichen Lage, Eltern zu haben, die am Theater waren, dadurch wurde ich sehr früh eingeführt einmal in die Theaterwelt und wurde aufgeschlossen durch die Musik und durch die Farbigkeit der Bühne, durch den Gesang.“

Der Jugendliche erweist sich als sehr empfänglich für Sinneseindrücke:

„Als 14jähriger hatte ich das Erlebnis eines zermahlenen Ziegels auf grau staubiger Erde und dadurch die Anregung des bildnerischen Gestaltens. Wenn ich Glassplitter in der Sonne aufblitzen sah, kam mir schon früh der Gedanke an die Glasmalerei, ohne dass ich wusste, wie sich so etwas mal auswirken würde.“

In der Kunsthalle Bremen hospitiert Will Torger1928 bis 1930 als Restaurator. Hier beeindrucken ihn besonders die Arbeiten der Bildhauer Alexander Archipenko und Wilhelm Lehmbruck sowie der Maler Ernst Nolde und Christian Rohlfs.

In den 30ger Jahren des 20. Jahrhunderts präsentiert der junge Künstler in mehreren Ausstellungen gegenständliche Werke, die bereits auf bemerkenswerte Resonanz stoßen:

„Will Torger beherrscht in der Malerei zugleich das Zarteste und das Stärkste, das Lyrische und das Ekstatische.“ (Bremer Zeitung, 1934)

In dieser Zeit malt er etliche Aquarelle in der Natur. Seine Frau Gertrud beschreibt:

„ Es gab damals eine besondere Technik, die war aufregend, das war eine Aquarelltechnik mit Borsten und Pinsel und fürchterlich viel Wasser. Die Papiere schwammen, die Farbe wurde da drauf getan und musste rasend schnell mit dem Pinsel gearbeitet werden, damit die gewünschten Konturen und Gestaltungen dann kamen. Und ich war immer wieder verblüfft, wie das gelang. „

Im Atelier experimentiert Torger mit expressionistischen Malweisen:

„Um die Bilder noch zu steigern, (…) habe ich eine Arbeit im Atelier gemacht, also das geht dann eben ins Expressive über. Wenn man die Arbeiten vergleicht, kann man doch sehr deutlich den Unterschied sehen. Dieses ist eine reine Naturstimmung, während diese Arbeit doch eine ganz starke Übersetzung ist.“

Er macht sich keinerlei Illusionen darüber, wie die Nazis seine Werke beurteilen werden:

„Das Jahr 1933 warf eigentlich schon seine Schatten voraus. Ich spürte sehr bald, dass es kompliziert werden würde, weil ich im Expressionismus arbeitete und der ja zur der Zeit verpönt war.“

Seinem Ausbildungsjahr in Berlin (1942/1943 Vereinigte Werkstätten für Glasmalerei und Mosaik, August Wagner) verdankt Torger die Begegnung mit bedeutenden Werken der Glasmalerei. Er begeistert sich besonders für den französischen Maler, Grafiker und Glasmaler Georges Rouault (1871 -– 1958).

Impressionen II: Symbol. Malen mit Farbe und Licht

Unter dem Eindruck von Bomben und Flucht entstehen Arbeiten, die das Kriegsgeschehen symbolisieren. Weltkugel, das Vanitas-Motiv Totenschädel und Farbsymbolik verweisen auf die Zerstörung:

„Dieses Brandrote da drin, als Symbol – Ausdruck – für den Weltenbrand und der Totenschädel für das, was da eben geschehen ist.“ (Wills Frau Gertrud)

In der Auseinandersetzung mit dem Krieg greift Will Torger auf seinen christlichen Glauben zurück:

„Und da entstanden dann – rückwirkend und rückblickend auf das ganze Kriegsgeschehen und was da alles zusammenhing – die Christusbilder.“

Gleichzeitig sucht er nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen:

„Mir war aber klar, dass ich von dem Impressionismus loskommen musste, weil ich diesen Stil für mich völlig ausgeschöpft hatte.“

Zwei Entwicklungen laufen parallel und bedingen einander: das Symbol, auch das Farbsymbol, und der Weg in die Abstraktion. Am liebsten hätte Torger bereits die Kirchenfenster in der St. Georgs-Kirche in Bremen-Huchting (Realisierung 1965 bis 1967) gegenstandslos gestaltet.

Kirchenfenster sind jetzt ein wichtiger Teil seines Schaffens. 1954 entwirft er das sogenannte „Auferstehungsfenster“ für die Paul-Gerhardt-Kirche in Bremen-Rönnebeck:

„Es kam mir darauf an, große Formen zu finden und durch expressive Bewegung und symbolischen Farbgebung den Ausdruck der jeweiligen Charaktere zu zeigen.“

Bei der Farbsymbolik sowohl für seine Fenster als auch für seine Bilder orientiert er sich jetzt am christlichen Kanon, ohne jedoch darauf festgelegt zu sein:

Weiß und Blau für Maria, Weiß auch für die göttliche Offenbarung, Purpur als die Farbe des Schöpfers, Rot für die Liebe, Grün für die Hoffnung, Gold für das göttliche Licht. Violett steht für das Unergründliche des Kosmos und orientiert sich somit eher an der allgemeinen Symbolik dieser Farbe als an einer dezidiert christlichen Auffassung.

Torger erweist sich

„(…) als ein Maler mit einem stark ausgeprägten Empfinden für Valeurs. Es bestimmte auch jene zahlreichen Glasmalereien und Mosaiken, die er für öffentliche Gebäude im Bremer Raum schuf.“ (Detlef Wolff, Kunstkritiker des Weser-Kuriers))

Auch andere Malerkollegen seiner Zeit, so zum Beispiel Torgers französischer Freund Alfred Manessier (1911 – 1993), der deutsche Informel-Künstler Heinz Kreutz (1923 – 2016), der von Manessier beeinflusste deutsche Maler Georg Meistermann (1911 – 1990), gestalten Kirchenfenster. Eine Tradition, die heute noch andauert – man denke nur an Markus Lüpertz (geb. 1941; u.a. St. Andreas, Köln) und Gerhard Richter (geb. 1932; Kölner Dom, Abtei in Tholey).

Das Besondere an dieser Sakralkunst – und darin liegt vermutlich ein Großteil des Reizes für die Künstler – ist, dass sie für lange Zeit einem größeren Publikum sichtbar bleibt. Ein wenig von dem Glanz des Lichtes, der durch die Kirchenfenster gefiltert wird, bleibt immer auch an den Künstlern hängen…

Die Bleistege aus den Kirchenfenstern lassen sich, mit etwas Mur zur Interpretation, schließlich bei Will Torger als ein – anfangs noch zartes – schwarzes Grundgerüst seiner Malerei wiederentdecken.

Expressivität: Farbe, Form, Fläche. Torger wird zu Torger

„Natürlich haben die Formen, in die ich die Farben setze, sowie die räumliche Anordnung ihre kompositorischen Funktionen.“

Torger schöpft bald auch aus der klassischen Musik, besonders aus den Werken Johann Sebastian Bachs. Im Grunde erscheint es logisch, dass er nun auch das symbolträchtige Schwarz als Kontrapunkt vermehrt in seinen Bildern einsetzt und ihm einen eigenständigen Wert einräumt. So schafft er

„…eine Kunst, die sich (…) vom wiedererkennbaren Gegenstand gelöst hat, um möglichst direkt im Bereich der Malerei ihre Poesie entwickeln zu können.“ (Jörg Schulz, Kustos Bremer Kunsthalle, Katalog Will Torger, Gemälde und Gouachen, Einzelausstellung 1970)

Vom Gegenstand gelöst: ja; abstrakt: nicht unbedingt. In den späteren Werken

„(…) spielen (…) gewisse groß gesehene schwarze Zeichen eine Rolle, T-Formen, V-Formen, im Hintergrund begleitet von grafischen Figurationen, die das Ganze in den Raum ausklingen lassen. Denn der Raum ist (…) ein mitbestimmendes Element, das für die musikalische Grundorganisation unerläßlich ist.“ (Herbert Albrecht, Kunstkritiker in Bremen)

Manche dieser Zeichen lassen an Hieroglyphen denken, manche verweisen auf die christliche Ikonographie, manche wirken wie Buchstaben. Sie zeigen eine delikate Formensprache und sind voller Spannung, Energie und Tiefe.

Andererseits wieder stoppt Torger mit kompakten Balken in samtigem Schwarz, die an Pierre Soulages denken lassen, den Fluss seiner Farben.

Auch mit asiatischen Schriftzeichen, die seinem Anspruch auf Reduktion von Formen und Linien entsprechen, hat Torger sich intensiv auseinandergesetzt. Es entstehen „kalligraphische Abstraktionen“ (Ernst Brennecke; Kunstkritiker in Harburg): meditativ-flächige Bilder, vornehmlich Gouachen, sowie zeichenhafte, von der Kalligrafie abgeleitete Werke, teils auf Japanpapier. Auf den ersten Blick wirken die Bilder recht ähnlich, auf den zweiten Blick offenbaren sie einen imponierendem Variantenreichtum.

Torgers Impetus ist es,

„(…) das künstlerische Schaffen, Thematik, Inhalt, durch Farbe, Form und Fläche zu kontrollieren“.

Er erprobt verschiedenste Farbzusammen­klänge und verfügt dabei über einen sensibel nuancierten Farbauftrag. Schwarz setzt er als ekstatischen und dynamischen Kontrast ein.

Die Spannweite von Torgers individuellem Ausdruck, so Detlef Wolff,

„(…) reichte von der intimen Tuschzeichnung mit kalligraphischen Momenten bis zum großformatigen Bild mit starker Betonung der Materialwirkung“. Und:

„Was er wollte, gelang ihm auch“.

Nachtrag: Unter dem Radar. Torger in Bremen.

Wieso hat Torger es nie aus seiner „Bremer Ecke“ herausgeschafft? Schließlich wurde ihm bescheinigt,

„einer der wichtigsten bahnbrechenden Künstler einer nicht am Gegenstand orientierten Malerei“

zu sein, der mit seiner Kunst würdig an die Werke seiner französischen Freunde anschließe (an die Werke nämlich Alfred Manessiers und Pierre Soulages‘, eigene Anmerkung) und der für die école de Paris aufgeschlossen sei. (Herbert Albrecht, Bremer Kunstkritiker der 60ger bis 80ger Jahre, Eröffnungsrede der Ausstellung in der „Galerie Jesteburg“, 1979)

Dafür gibt es wohl mehrere Gründe:

Erstens: Der Zufall. „(…) Es gehört sicher in den Bereich der Zufälligkeiten des Kunstbetriebs, dass Will Torger – abgesehen von einigen regional bedeutsamen Ausstellungen – nie jenes Maß an geographisch weiterreichender Aufmerksamkeit fand, dem er gewachsen gewesen wäre.“ (Detlef Wolff)

Zweitens: Handwerk ohne Klappern. „Will Torger gehörte zu den Stillen im Lande“ (ders.). Torger war vor allem Künstler. Er wünschte sich zwar, anerkannt zu werden. Seine Kunst sollte aber einen Wert an sich haben. Das Bewusstsein dafür, dass Kunst einen Markt hat und dass das Kunstwerk einen Doppelcharakter sowohl als Werk als auch als Ware hat, fehlte ihm fast völlig.

Drittens: Bremen – hoch im Norden, abseits vom sich etablierenden deutschen Kunstmarkt für moderne Kunst. Hauptsächlich Frankfurt mit der Künstlergruppe Quadriga (Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze), Köln mit dem Kölner Kunstmarkt (Vorläufer der Art Cologne) sowie Düsseldorf mit seiner Akademie und Bewegungen wie German Pop, ZERO, Fluxus sowie deren Protagonisten (Joseph Beuys, Otto Piene, Gerhard Richter, Günther Uecker) machten in den ersten zwei Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg von sich reden.

Bremen versuchte zwar im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten, in den 50ger und 60ger Jahren ortsansässige Künstler durch Ankäufe zu fördern. Ein koordiniertes Vorgehen gab es jedoch nicht.. Ein Beispiel: Torger und drei seiner Künstlerkollegen mussten in den 60ger Jahren ihre Ateliers zugunsten eines Schwimmbadbaus aufgeben, ohne aber von der Stadt eine bezahlbare Alternative geboten zu bekommen.

Quellen und Anmerkungen

  • Die wörtlichen Zitate von Will und Gertrud Torger entstammen dem (derzeit noch unveröffentlichten) Film, den Wolfgang Kiesecker, ein Neffe Will Torgers, über den Künstler gedreht hat (Kiesecker arbeitet an einem Relaunch).
  • Hintergrundinformationen steuerten die Kinder Will Torgers, Christoph, Matthias und Susanne, bei.
  • Darstellungen in Ausstellungskatalogen, Presserezensionen aus Bremen und Hamburg sowie Buchveröffentlichungen bilden weitere Quellen der Darstellungen:
  • Will Torger. Gemälde und Gouachen, Einzelausstellung Kunsthalle Bremen, kuratiert von Jörg Schulze
  • Will Torger. Informel, Ausstellung 1989, Sparkassenhalle am Brill Bremen, Text Ingrid Naujok
  • Zuschlag, Christoph, Gestus als Symbol. Zur Symbolfähigkeit informeller Malerei, in Althöfer, Heinz (Hg.): Informel: Begegnung und Wandel, Dortmund, 2002, S. 74 – 83

Bildquellen:

Alfred Manessier: Michel-Georges Bernard – Eigenes Werk über WikiMedia, CC BY-SA 3.0

Kirchenfenster: Jürgen Howaldt – Selbst fotografiert, CC BY-SA 2.0 über Wikimedia